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Bitterer Tag für NATO-Gegner

Verfasst: 03.04.2009, 20:22
von maadien
Baden-Baden (ddp-bwb). «Wir haben eigentlich mehr Action von den Demonstranten erwartet», sagt Torsten. Der 17 Jahre alte Schüler und einige Freunde sitzen entspannt auf dem Balkon, während ein Steinwurf entfernt ein paar Hundert Demonstranten durch die Straße ziehen und gegen den NATO-Gipfel protestieren. Was der Schüler ausspricht, denken viele in Baden-Baden. Der Protest gegen den Gipfel fällt am Freitag harmloser aus als erwartet. Zumindest bis zum späten Nachmittag bleiben die befürchteten Ausschreitungen zwischen Polizei und NATO-Kritikern aus.

Für die NATO-Gegner selbst ist es ein bitterer Tag. Während im Vorfeld von mehreren Tausend Demonstranten gesprochen wurde, sind am Vormittag nicht mal 200 Aktivisten vor dem Bahnhof eingetroffen. Wie der Organisator der Demonstration, Monty Schädel, sagt, haben sich viele politische Gefährten «durch die massive Präsenz der Polizei abschrecken lassen». Auch für die erwarteten Mitstreiter von der französischen Seite sei es aufgrund der Repressalien nicht möglich gewesen, zu kommen. «Wer weiß, vielleicht wären sie nicht mehr über die Grenze zurückgekommen«, mutmaßt der frühere Erzieher.

Die Demonstration startet schließlich erst um 13.30 Uhr, nicht wie vorgesehen um 12 Uhr. Rund 500 NATO-Gegner und Friedensaktivisten haben sich bis dahin doch noch zusammengefunden. Die Polizeistrategie ist auf Deeskalation ausgelegt, auch wenn die Beamten gut gepanzert und mit Schlagstöcken bewaffnet sind. Konfliktmanager Mischa Lirsch von der hessischen Polizei begrüßt die Demonstranten und wünscht einen »guten Start«. Über Lautsprecher macht er den verdutzten Demonstranten das Angebot, sich bei Bedarf an die Polizisten zu wenden. »Sie werden versuchen, Ihnen weiterzuhelfen«, sagt Lirsch. Mit einem lakonischen »Willkommen in Absudistan« kommentiert das eine NATO-Kritikerin.

Während sich Polizisten und Demonstranten unterhalten, aus der Bahnhofskneipe heraus Kaffee verkauft wird und Songs von Johnny Cash die Stimmung heben, fliegen immer wieder Polizeihubschrauber tief über Baden-Baden. »Eine seltsame Mischung«, wie Demo-Teilnehmer Tom findet. So etwas wie »Feststimmung« will hingegen Verena verspüren.

Fast schon bizarr mutet es an, als die Polizei Monty Schädel für seine Rede auch noch einen mit Lautsprechern ausgestatteten Polizeiwagen zur Verfügung stellt. Der 39 Jahre alte Friedensaktivist nimmt das Angebot notgedrungen an. Aber in seiner Rede zum Auftakt der Veranstaltung hebt er hervor, der eigene Lautsprecherwagen werde von der Polizei festgehalten. Dem allerdings widerspricht der aus Bayern stammende Einsatzleiter Herbert Witzgall. Man sei interessiert, dass die Demonstranten auch tatsächlich ihr verbrieftes Recht zur freien Meinungsäußerung nutzen können.

Ein russischer Journalist schüttelt den Kopf: »In meiner Heimat wäre das undenkbar«, sagt er. Doch das, was der Reporter als »Merkmal einer liberalen Gesellschaft« lobt, hält Monty Schädel für Taktik. Die Behörden erschwerten mit ihren strikten Auflagen jede demokratische Meinungsäußerung, klagt er. »Wir wenden uns gegen Krieg und Gewalt, dennoch werden wir kriminalisiert und sogar mit Terroristen in einen Topf geworfen.«

Ruhig geht es im Kaufland-Markt in der Rheinstraße derweil zu. Während die einzige Kassiererin in dem großen Geschäft ein Kreuzworträtsel löst, steht Marktleiter Achim Fautz auf der gesperrten Straße und beobachtet die Szenerie. Er hat eigens einen Sicherheitsdienst engagiert. »Ich schätze mal, wir haben heute 50 Prozent weniger Umsatz«, sagt er.

Schließlich ziehen die Demonstranten gegen 13.30 Uhr endlich los, vorbei an Wohnblocks und feudalen Villen. Zuschauer gibt es kaum. Außer eben einige, die auf dem Balkon stehen wie der Schüler Torsten und seine Kumpels.

(ddp)

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