Auszapft is in Bayern
Verfasst: 04.10.2008, 23:21
CSU-Machtkampf: Auszapft is in Bayern
Horst Seehofer: Hat er das Zeug zur neuen Identifikationsfigur?
04. Oktober 2008 Die gute Nachricht zuerst: In Bayern hat sich nichts verändert. Fast nichts. Am kommenden Samstag wird auf Herrenchiemsee wie eh und je zur Parforcejagd geblasen, von den Jagdhornbläsern „Bien aller de Bavière“. Und selbstverständlich gilt beim ersten Aufgalopp das eherne Motto der Jagdreiterei, das auch für die Politik taugt: „In schnellem Tempo denken und handeln.“ Nur ein kleiner Abgang ist schon vor dem Halali vor dem Neuen Schloss zu vermelden: Die gute alte CSU, die Partei mit der Zweidrittelmehrheit, die Fortsetzung der Monarchie mit demokratischen Mitteln, gibt es nicht mehr.
Den entscheidenden Stoß haben ihr nicht einmal so sehr die Wähler versetzt. Ein wenig grob haben sie der CSU zwar schon beigebracht, dass in der Bayerischen Verfassung nicht steht: „Bayern ist ein Volksstaat. Er wird von der CSU regiert.“ Doch ein politischer Kraftlackel wie Franz Josef Strauß hätte auch bei einem kläglichen Ergebnis von 43,4 Prozent nur kurz den Stiernacken angespannt und dann mit hochrotem Kopf den Journalisten in die Blöcke und Mikrofone gebellt, das sei bei der matten Vorstellung der CDU-Pygmäen und ihrer Anführerin noch ein Bombenergebnis.
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Nichts hinderte sie, mit großer Geste zurückzutreten
Und Strauß hätte auch die Sondierungsgespräche mit der FDP und den Freien Wählern, die das Irrlichtern der CSU zwischen Rauchverbot und Pendlerpauschale in den Landtag gebracht hat, so geführt, dass die Phantomschmerzen in seiner Partei über die verlorene absolute Mehrheit zumindest mit verbalen Placebos gemildert worden wären. Aber Strauß ist seit zwanzig Jahren tot – und an seine Stelle sind, politisch gesehen, kleinwüchsigere Gestalten getreten. Die nach dem Wahltag nichts anderes zu tun haben, als die heil gebliebenen Reste des Parteigebäudes einzureißen und sich ganz der Lust am eigenen Untergang hinzugeben. Allein wie der Parteivorsitzende Erwin Huber und der Ministerpräsident Günther Beckstein ihren eigenen Rückzug verstolperten, lässt alle Fragen, wie es zu den Stimmenverlusten gekommen ist, überflüssig erscheinen; wer so unbeholfen aus seinen Ämtern wankt, muss eher beantworten, wie er hineingekommen ist.
Sie hätten es in den bittersten Stunden ihrer Laufbahn in der Hand gehabt, die Autorität zu zeigen, die sie in ihrer einjährigen Amtszeit vermissen ließen. Nichts hinderte sie, mit einer großen Geste zurückzutreten und Horst Seehofer für ihre Nachfolge zu empfehlen. Stattdessen ließen sie es zu, dass ein Krieg aller gegen alle ausbrach – der Oberbayern gegen die Franken, der Bundes- gegen die Landespolitiker, der Alten gegen die Jungen. Aufschlussreicher als alle öffentlichen Äußerungen dürften die Telefonrechnungen mancher Beteiligter sein, etwa von Edmund Stoiber, auch wenn seine Stilisierung zum „Mephisto aus Wolfratshausen“ mehr einer Überhitzung medialer Phantasien als seiner Begabung zum Verschwörer entspricht.
Es wäre ein guter moment gewesen, um innezuhalten
Das „geordnete Verfahren“ bis zu einem Sonderparteitag am 25. Oktober, von dem Huber in der CSU-Vorstandssitzung nach dem Wahldebakel sprach, war ein frommer Wunsch vor den Pforten der Hölle der Selbstzerfleischung. Für den Niederbayern Huber währte der Versuch, der Hitze standzuhalten, nur einen Tag – dann konnten die kleinen und großen Fachleute der CSU im Schüren von kleinen und großen Feuerchen eine Pause einlegen. Auf die Ankündigung Hubers, den Parteivorsitz niederzulegen, folgte ein Satyrspiel. Beckstein lud in seine Staatskanzlei ein, las von einem Sprechzettel ab, wie sehr er den politischen Hinschied seines Gefährten bedauerte – und wähnte sich selbst noch höchst lebendig.
Wieder dauerte es nur einen Tag, bis der Franke Beckstein verkünden musste, nun habe auch er festgestellt, dass er in der Partei nicht das notwendige Vertrauen besitze; nicht nur Fingerzeige aus dem oberbayerischen Parteibezirk, der einflussreichsten Gliederung der CSU, hatten diese Erkenntnis beschleunigt. Zu diesem Zeitpunkt war niemand mehr an seiner Seite, der für ihn ein politisches Epitaph hätte verfassen können. Wer seinen eigenen Rücktritt verpasst, muss unbesungen den Weg in die Fußnoten der Geschichtsbücher antreten.
Es wäre für die CSU ein guter Moment gewesen, innezuhalten und zu versuchen, doch noch ein kleines Stück der alten Partei zu retten. Horst Seehofer, „der Horsti“, wie ihn seine Gefolgsleute nenen, war da schon als künftiger Vorsitzender benannt – von welcher geheimnisvollen Instanz auch immer – und führte schon ein munteres mediales Leben als „designierter Vorsitzender“, der den „Mythos der CSU“ beschwor. Damit hätte es sein Bewenden haben können – denn das gegenwärtige Personaltableau der CSU ist von bezwingender Simplizität. Als Strauß starb, war ein personelles Wurzelgeflecht vorhanden, das verhinderte, dass die Partei an Halt verlor – mit Theo Waigel, Max Streibl, Gerold Tandler, Alois Glück, Edmund Stoiber, Peter Gauweiler. Stoiber, im Grunde seines politischen Herzens ein ängstlicher Charakter, hegte und pflegte den politischen Nachwuchs nicht; er duldete in der nachfolgenden Generation allenfalls mittlere Begabungen.
Ein Trio fühlte sich berufen
Zu ihnen gehört das Trio, das sich zunächst zur Nachfolge Becksteins berufen fühlte: Innenminister Joachim Herrmann, der Vorsitzende der CSU-Landtagsfraktion Georg Schmid und Wissenschaftsminister Thomas Goppel. Sie sind bislang alle drei keine politischen Alphatiere gewesen – und werden es auch nicht mehr. Der Franke Herrmann ist ein ausgleichender Charakter; in seiner Zeit als Vorsitzender der CSU-Landtagsfraktion war oft nicht zu unterscheiden, ob er Getriebener oder Treiber war. Der Schwabe Schmid ist ein Politiker, der leicht Zugang zu Bürgern findet, auch wenn sein Nom de Guerre „Schüttelschorsch“ – weil Wähler seinem Händedruck kaum entkommen können – ihm nicht in liebevoller Absicht zugedacht wurde. Und der Oberbayer Goppel, Sohn des langjährigen Ministerpräsidenten Alfons Goppel, ist ein Meister feingeistiger Wortgirlanden, die bei den Adressaten oft ratlose Mienen hinterlassen.
Doch die CSU-Landtagsfraktion zögerte, sich auf Seehofer als künftigen Ministerpräsidenten festzulegen; der Oberbayer und bisherige Bundeslandwirtschaftsminister hatte seine Bereitschaft erklärt, für das Amt des Ministerpräsidenten zu kandidieren, wenn sich die Abgeordneten nicht auf einen anderen Bewerber einigen können. Die Entscheidung, Seehofer in den Stand des Doppel-Designatus zu erheben – als Parteivorsitzenden und Ministerpräsidenten –, wurde auf kommenden Mittwoch vertagt. Es rächte sich ein wenig, dass Seehofer in der Vergangenheit die Landtagsabgeordneten nicht immer als die wahre Elite in der Partei gepriesen hatte.
Tauschgeschäfte und elegante Exit-Strategien
Die Tauschgeschäfte begannen, wer was wird in der neuen CSU. Als Ersten ereilte Schmid die Erkenntnis, wie sehr er seine Aufgabe als Fraktionsvorsitzender doch wertschätze; deshalb sei es nicht „sinnvoll“, an seiner Bewerbung für die Nachfolge Becksteins festzuhalten. „Schüttelschorsch“ bewies damit eine feine Witterung, woher der Wind an der Parteibasis weht – und zwar jenseits des Antagonismus zwischen Berufsfranken und Berufsoberbayern quer durch das Land. Sitzungen der Bezirksvorstände, darunter in der Oberpfalz, in Niederbayern und in Oberbayern, ergaben ein eindeutiges Bild, dem sich die CSU-Landtagsabgeordneten nicht entziehen werden können.
Nach dem Votum seines eigenen Bezirksverbands Oberbayern, die Ämter des Parteivorsitzenden und Ministerpräsidenten in eine Hand zu geben, blieb Goppel nur noch, mit einer eleganten Exit-Strategie aufzuwarten; er fände es gut, ließ er wissen, wenn Herrmann und er gemeinsam den Verzicht erklärten. Und damit war fast alles gesagt und die Seehofer-CSU geboren.
Die Partei braucht einen modernen Strauß
Die Partei verlangt es nach einer Identifikationsfigur, nach einem kleinen Franz Josef Strauß, der auch polternd in Berlin auftreten kann. Der der Partei wieder ein wenig Stolz zurückgibt. Der das Kunststück vollbringt, Verwurzelung im Land mit Weltläufigkeit zu verbinden. Aber es muss ein moderner Strauß sein, dem der Sprung vom politisch-analogen ins politisch-digitale Zeitalter gelingt, sprich in eine Gesellschaft, in der auch in Bayern die traditionellen Bindungen schwächer werden. Auch mit einem Parteivorsitzenden und Ministerpräsidenten Seehofer wird die alte CSU nicht wiederkehren, die mehr als vier Jahrzehnte eine politisch-kulturelle Hegemonialmacht zwischen Spessart und Karwendel gewesen ist. Viel Zeit bleibt der Seehofer-CSU also nicht, sich neu zu erfinden.
Voreilige Schlüsse muss man gleichwohl vermeiden. Ob das, was die CSU in den letzten zwei Jahren geboten hat, eine Ausnahme war oder zur neuen Regel wird, kann derzeit noch niemand wissen. Es steht ja auch noch nicht fest. Eine Politik, die nicht mehr an Möglichkeiten glaubt, ist keine Politik mehr. Wenn man mal, leicht verfremdet, einen großen Preußen zitieren darf.
Text: F.A.Z.
Quelle: http://www.faz.net/s/Rub61EAD5BEA1EE41C ... ntent.html